John Ashbery
Schattenzug
Gedichte
Aus dem Amerikanischen von Johannes Beilharz
Das Streben nach Glück
Es stellte sich heraus, daß es keinen Weg von
Trennwand zu Trennwand gab, daß beide eine einheitliche
Fassade bildeten, die eines städtischen Einkaufszentrums
Im April. Man wandte sich wie gewöhnlich anderen InteressenZu, zum Beispiel den Gezeiten in der Bay of Fundy. Unterdessen war da jemand,
Der ganz ungesehen auf dieser Skala der Visionen gekrochen kam,
Wie das riesige Gespenst einer Katze turmhoch über winzigen Mäusen,
Die wegen des Schattens dabei sind, eine Versammlung zu vertagen,Wegen eines einschneidenden Schattens, zu vollkommen in seiner empörenden
Regelmäßigkeit, um noch einmal vor Gericht gerufen zu werden,
Den jede blasenbedeckte Zunge in den ersten vom Westwind
verstreuten Tropfen bewillkommnete, die doch zuließ, daß die AugenOhnmächtig wurden, die Ohren Warnungen ignorierten, obwohl sie
Wußte, daß es danach in alle Ewigkeit genauso sein würde.
Wir wußten uns mit dem gerade Anfallenden durchzuschlagen, doch der Gedanke,
zu warnen, der wie ein Wald daliegt, ungeleert, winkt uns zu.
Den Mythos bestrafen
Erst fiel es leicht und fand mit dem Erkennen der Schattenlinie
Seinen Weg durch verschiedene Landschaften und kam dann zu
Einem Stillstand weit weg von dir, dich gelegentlich segnend,
Und suchte das für sich selbst beste und passendste heraus,Wie Schnee mit Hintergedanken, der zurückkehrt, um behutsam
Auf dies zu achten, das zu verschönern, als ob das Leben ein Fest wäre,
Während dessen gearbeitet wird. So wanden wir uns in unseren unterschiedlichen Stellungen
Und hielten uns eine Zeit lang in ihnen auf. Wenn etwas vorbeigegangen ist,Sieht man sich wie man sich auf einer Bühne sehen würde
Während man für jemand auftritt. Doch für wen? Ah, gerade das ist es,
Man muß die Manieren haben, und das Aussehen, das von etwas Geheimnisvollem kommt,
Reicht nicht. Aber dieses »reicht nicht« darf nicht wie eine Livree getragen werden,Damit es kurz bemerkt wird, doch in welcher Gesellschaft sollte man es sehen lassen? Ich habe
Seit Jahren über dergleichen nicht nachgedacht; das ist mein Glück.
Schließlich werden auch Felsen zu wachsen anfangen. Und falls du deine Unschuld
Einmal zu oft herausgelockt und verhätschelt hast, welche Haltung ist dann tatsächlich nicht dein?
Paradox und Oxymoron
Dieses Gedicht beschäftigt sich mit Sprache auf einer sehr einfachen Ebene.
Schau, wie es mit dir redet. Du schaust aus einem Fenster
Oder gibst vor, nervös zu sein. Du hast es, hast es aber auch nicht.
Du vermißt es, es vermißt dich. Ihr vermißt euch.Das Gedicht ist traurig, weil es dein sein will und nicht sein kann.
Was ist eine einfache Ebene? Dies und auch andere Dinge,
Die ein ganzes System solcher Dinge spielen lassen. Spielen?
Ja, tatsächlich, doch, aber ich betrachte SpielenAls etwas Tieferes, Äußerliches, ein geträumtes Rollenmuster,
Wie diese langen Augusttage ohne Nachweis
In ihrer Gnadenverteilung. Offene Enden. Und ehe du etwas merkst,
Ist es in Dampf und Schreibmaschinenrattern verlorengegangen.Es ist noch einmal gespielt worden. Ich glaube, du existierst nur,
Um mich scherzend dazu zu bringen, genau das zu tun, auf deiner Ebene, und dann bist du nicht da,
Oder hast eine andere Stellung bezogen. Und das Gedicht
Hat mich leicht neben dich gesetzt. Das Gedicht bist du.
Jeden Abend wenn die Sonne untergeht
Der behelmte Kopf hebt sich dir wieder
In einer Frage entgegen. Schnaps und Tabletten?
Wahrscheinlich hat er weder Prägung noch wirklichen Status
Über die Speichen des Netzes guter Vorsätze hinaus,Die vom Krater auf eine gewisse Entfernung hinausgesendet werden; das ist das Lachen
Mit dem alles begann? Siehst du dich selbst,
Bedeckt von dieser Uniform aus halbem Bedauern und
Unzulässigen Befriedigungen, blendend wie ein Regen,Wie durch einen Strohhalm wieder in das Pfauenauge im Himmel
Hinaufgesaugt, um sich mit deinem Gehirn zu verbinden,
Das dir heute Nacht überlassen ist um damit, wie mit
Einem Engel, zu ringen bis zum Morgen? Die Lichtputzschere drückt es besser aus. Ihr KegelZerdrückt den Docht, beleidigter Rauch steigt ruckweise deckenwärts
In der langen Weile seit wir Angst haben, während der Gastgeber nach
Eiswürfeln und einem Glas sucht, und in die
Gleichheit von Firmamenten verschwunden ist. »Eine letzte Frage.«
Ein Pakt mit dem mürrischen Tod
Das Lied wird warten müssen
Bis alles einmal ernst geworden ist.
Märtyrer mit starren Augen, mit besonderen Seufzern
Stellen ihre Treibstöcke ab. Der Himmel hat es zu langeAusgehalten, so in ewige Verdammnis gesprengt zu werden,
Und fällt, zusammen mit Blut und Blumen weggewaschen.
Im Traum im Nachbarhaus ändern sie sich immer noch,
Und auch das Erwachen wandelt sich; in Leben.»Ist das Leben?« Ja, sogar die gerade vergangene Minute -
Und Mitteilungsdrang nimmt überhand
Wie das Krachen von Artilleriefeuer in den äußeren Vorstädten
Und ich war dabei, zu wünschen, auch du wärst das »Ich«,Das in dem in der ersten Person erzählten Roman
Dieses atmige Warten ist, daß wir durch das
Weinende Dickicht zum Lachen unter der Erde durchbrechen könnten,
Da ja doch jeder warten kann. Wir müssen nur damit anfangen.
Shadow Train
poems by
John AshberyPenguin Books,
Harmondsworth, Middlesex, GB,
und
New York, USA,
1981
Verbrechen im weißen Hemd
Also doch geschehen, gib's zu, und damit hat sich's.
Er machte keinen großen Fehler; er war übereifrig; er verdiente
Keine Todesstrafe; aber es ist etwas ganz anderes, wenn so etwas in Ihrer Nachbarschaft
Passiert, auf Ihrer Türschwelle; das fallende Licht verdarbSeine Namensschilder und Gamaschen ganz schön; alles, was ihm gehörte,
Wurde übernacht auf die Straße geschmissen so wie es war.
So weit die Mode. Der Mond erklärt,
Daß er eine Zeit lang bei uns sein wird, um die Atmosphäre zu verstärken,Doch auf die Dauer herrschen ernstere Belange vor, so etwa
Wieviel Uhr ist es, und was willst du dagegen tun?
Frech Firmennamen erfindend, Ortsschilder, waren Sie von
Solchem Überfluß umgeben, doch scheint es nur mehr fair, von jetztAn Wäsche anzunehmen. Da war ein Junge. Doch wenn das Programm vorbei
Ist, stellt sich heraus, daß wir genug Zeit hatten, und mehr als genug
Gelegenheiten für alle, sich einzuklinken, und daß es alles wesentliche gibt,
Junge Leute, die mit ihren süßen Namen fallen, fast zu viele.
Corky's Car Keys
Trotz, oder gerade wegen
Dieser Tollheit blieben Kevin und Tracy - nur auf den Anschein
Kommt's an - innerhalb des nicht-nächtlichen, rotgestrichenen Ziegelhintergrundes
Der Feste. Und Bäume, alteBäume, wie der da - süße weiße Träume
Darin enthalten, »in die Fenster hinein und aus den Fenstern heraus.«
Sind die Sonnenuntergänge jetzt im hohen Alter schneller, jetzt,
Da sie dich übernuten, oder mich besser kennenzulernenDich überflutet? Und trotzdem, oder gerade deswegen, müssen
Wir hier leben, deshalb sollten wir das Haus
Herrichten. Vor langer Zeit, während eines früheren Aufblühens,
Schien es nur eine von vielen hübschen, wohlgewählten Möglichkeiten -Wie die Jahre vorbeigehen. Wie hätten wir auch vorhersagen können, daß auch
Die Geräusche der Stadt anwachsen würden? Und in ihrer unbequemen
Reife Pyramiden diktieren, Bestellungen bearbeiten? Und doch werden wir
In kurzer Zeit alles regulieren können, falls er wahrhaftig der Kirchturm ist.
Im Dunkeln geschrieben
Es fünf-, sechs-, siebenmal am Tag erzählen,
Es wie eine Gutenachtgeschichte erzählen, die niemand kennt,
Es wie eine Zukunftsvorhersage erzählen, die vor kurzem wahr wurde,
Zum Beispiel gestern nachmittag, so kürzlich, daß es fast nochUngeschehen scheint... All das und anderes waren Formen,
Die unsere Liebe annahm, um das Aussehen einer Staatsreligion, von
Politischer Weisheit anzunehmen. Nur schade, daß die beiden zwischen uns
Zusammengepreßten Hände uns in ihrer Konkretheit im Stich lassen,Daß wir einen Slogan brauchen, um alles in strömende Herbst-
Fahnen zu verwandeln, in das Flattern bronzener Eichenblätter, in eine Oberfläche
So intensiv und fragend wie der See. Wir blieben zu Hause.
Wir tranken Tafelwein, gelb, dann violett, von der Farbe wurmigen Holzes,Der Farbe vom Klang von Wellen, die über einen flachen Strand fegen,
Weiter hinauf als je zuvor, sich im Namen der Freiheit mehr
Freiheiten herausnehmend. Und doch dürften sie eigentlich nicht. Siehst du nicht ein,
Daß Ausnahmen möglich sind, sogar darin, diesem Firmament, dieser Anmut zu Hause.
Schattenzug
Gewalt, wie leicht sie doch fiel,
Und wie leicht dich mitriß,
Das zu wollen, was du trotzdem nicht wolltest.
Alles ist vorbei, falls wir nicht die Wahrheit in dieser Bedeutung einsehen.Zu wollen heißt besser sein als vorher. Was zu begehren
Verboten ist, ist erlaubt. Doch es zu begehren
Und nicht zu wollen heißt an seinem Namen wie an einem Lumpen zu kauen.
Dahingehend schwankt die Banane auf ihrer Staude,Doch Erdbeeren sind feucht und kühl, ein runder
Ton auf einer fallenden Tonleiter, eine Photographie
Von jemand, der auf einer Beerdigung lacht. Die großen Federn
Des dynastischen Fliegenwischs springen täglichÜber unsere Köpfe, wolkenhoch. Wer vermag zu sagen,
Was das bedeutet, ob etwas Schützendes? Doch ist klar,
Daß sich Geschichte heute nur bis ins private Kasperltheater eines jeden erstreckt.
Die Gewalt träumt. Du schläfst halb an deinem Instrumententisch.
Die Vegetarier
Vor euch lange Tische, die zur Sonne hinabführen,
Während sich eine großartige Geste aufbaut. Ihr nehmt sie an,
Wie um sie zu verwandeln, wenn eure Aufmerksamkeit für eine Ewigkeitssekunde
Ihre Aufgeblasenheit verliert. Äußerste Geduld und Beharrlichkeit sind angebrachtUnd werden doch von jedem erreicht, bevor er als Überraschung
Das Eßpaket mit dem Rest seines Lebens bekommt. Was aber
Wirklich bestürzend ist, ist, daß alles so bescheiden,
Auf so gesunde Lebensweise abläuft, und dann wird auch das übersetzt in etwas,Das daraus hochtreibt, Zeichen, daß einmal Leben darin pulsiert hat, schwach, aber essentiell
Zur Entkorkung des Tons, und dann schon verloren, vor kurzer Zeit, doch in alle Ewigkeit.
In Zürich war alles rein und sinnvoll, z.B. die roten Wagen
Schwangen sich an Drähten um den See, dem Himmel zu, dann wieder hinunter,Durch das Wetter durch. Was dem, was ihr im Sinn habt, nicht mehr
Gleicht als schwarze Baumstämme, obwohl ihr auch daran gedacht habt.
Deshalb verwandeln sich unsere Legenden doch schließlich immer in etwas legendär Scheinendes,
Einen mit unserem Kommen und Gehen dekorierten Weg. So hat man mir wenigstens erzählt.
Die Originale dieser Gedichte stammen aus Shadow Train, Copyright © John Asbhery 1981. Die Übersetzungen erschienen ursprünglich in Akzente, Heft 6, Dezember 1982. Copyright © 1982 Carl Hanser Verlag, München / J. Beilharz. Außerdem erschienen sie in einem Sonderdruck.
John Ashbery wird, wie auch Frank O'Hara, James Schuyler (Erwähnung, Übersetzungen), Kenneth Koch (Parodie, Übersetzungen), Ron Padgett, Barbara Guest, Peter Schjeldahl und andere, als der losen Gruppe der New York Poets zugehörig betrachtet.