LITERATUR / Der Vöhringer Johannes Beilharz veröffentlicht einen Band mit Erzählungen
DANIEL SEEBURGER
VÖHRINGEN – Aufgewachsen ist Johannes Beilharz (47) in Vöhringen. In seinen jetzt vorliegenden Erzählungen ist seine Herkunft allerdings eher zweitrangig. Lediglich in «Europa» tauchen bekannte Namen auf. Am Ortseingang eines Städtchens befindet sich beispielsweise ein Schild mit der Aufschrift «Bist du Gast in Horb, bist du Hahn im Korb».
Doch bis auf die bekannten Ortsnamen und Landschaften, bleibt die Story seltsam kosmopolitisch. Der erfolgreiche Ingenieur Richard Ranger aus dem US-Bundesstaat Washington wird von seiner Frau, mit der er «zufrieden und glücklich» lebte, verklagt, weil er sie vergewaltigt haben soll. «Eheliche Vergewaltigung braucht im Staat Washington nicht bewiesen zu werden; allein die Aussage der Frau genügt». Ranger flieht. Von Thailand nach Australien, Indonesien, Indien und dann nach London. Ranger trifft ein Mädchen im Reisebüro, die ihn auf eine Rheinreise schickt. In Deutschland gibt es ein Wiedersehen mit dem Mädchen, das ihn durch Baden-Württemberg begleitet. Dabei kommen die beiden nach Horb, Freudenstadt und Villingen. Schließlich lassen sie sich in Waldenbuch nieder. Ranger vermutet, dass die Reisebegleiterin «auf Männerfang» gegangen sei und er sich nur «zu bereitwillig in ihrem Netz verfangen» habe.
James Joyce beschreibt im «Ulysses» auf 1000 Seiten einen Tag im Leben des Leopold Bloom, Jack Kerouac schickt in «On the road» Sal Paradise auf eine 400 Seiten lange Tour quer durch die USA. Johannes Beilharz braucht für das fast komplette Leben zweier Menschen und eine Reise rund um die Welt 13 Seiten.
Beilharz schreibt kurze, knappe Sätze. Trotzdem erschließt sich der Sinn der Geschichten oft erst nach mehrmaligem Lesen. Der Leser sucht Zugang zu den Personen, eine Reflexion zwischen dem Handeln des Menschen und seiner seelisch-psychischen Verfassung findet allerdings nicht statt. So sieht man sich Figuren gegenüber, die einem bekannt vorkommen, obwohl sie eigentlich kaum zu begreifen sind. Wie im richtigen Leben: Man lernt jemanden kennen und versucht, sich den Menschen mittels Kommunikation zu erschließen. Ein Blick ins Gehirn ist nicht möglich.
Beilharz verschließt sich fast ganz der Möglichkeit, die innere Verfassung seiner «Helden» zu beschreiben. So bleiben dem Leser lediglich die Gespräche, um die Protagonisten kennen zu lernen. Die Raymond Chandler gewidmeten «Fünf Stories» beispielsweise bestehen zum Großteil aus Dialogen.
Eine der kuriosesten Geschichten ist «Krei-Ssi», die Science-Fiction-Story über eine Herrscherin, die sich von zehn Sklaven mit ihren Zungen die dunkelblau lackierten Zehennägel befeuchten lässt. Die Erzählung mutet an wie ein Ausriss aus einem Tagebuch, das aus der fernen Zukunft stammt. Der Leser kommt sich vor wie ein einfacher Mensch aus dem Mittelalter, dem mittels Zeitsprung ein Artikel aus einer Autozeitung des ausgehenden 20. Jahrhunderts in die Hände fällt. Beilharz konstruiert eine Zukunft, die nicht aus der Gegenwart heraus verständlich ist - das ist wahre Science-Fiction!
Literatur-Ikone Franz Kafka bekommt in «Vermessener Vermesser» sein Fett weg. Johannes Beilharz löst endlich das Geheimnis des Kafkaschen Schlosses, in das K. vergeblich versucht einzudringen. Die Lösung: K. tritt unmöglich auf und benimmt sich wie ein Elefant im Porzellanladen. «Sowas wird bei uns nicht ins Schloss vorgelassen, punktum», heißt der lapidare Schlusssatz bei Beilharz. Die Moral von der Geschicht: Auf Suche nach Erkenntnis und Sinn scheitert der Mensch letztlich an seiner eigenen Plumpheit.
Johannes Beilharz allerdings scheitert ganz und gar nicht. Er fordert den Leser heraus zu einer etwas anderen Sicht der Dinge. Und das ist im trägen Sumpf des deutschen Literaturbetriebs erfrischend provokativ.
Johannes Beilharz: Die gottlosen Ameisen. Erzählungen; 9,40 Euro.
Copyright © Daniel Seeburger 2003
Johannes Beiharz: Die gottlosen Ameisen. Erzählungen, Weissach i.T.: Alkyon-Verlag 2003. 140 S., Mit 6 Illustrationen des Autors, € 9,40