Quickshot - Schnellschuss vom 09.04.2002 Quickshot-Index
Von der Lust zu wandeln –

Zwischen Hölderlin und Dylan, zwischen Himmel und Erde

   Jörg Neugebauers Gedichtband Über den Zeppelinen, 2002 im Alkyon Verlag erschienen, wird von zwei Zitaten eingeleitet, die Himmel und Erde thematisieren. Da ist einmal aus Hölderlins »An den Aether« die irrende Rebe, die ohne Stab nicht zum Himmel aufwachsen kann, sondern sich suchend über den Boden ausbreitet. Und aus Bob Dylans »Never Say Goodbye« steigen Träume von Eisen und Stahl, denen sich vom Himmel ein Strauß Rosen zuneigt. Ein bisschen Himmel und sehr viel mehr Erde, Gegenüberstellungen von Bukolischem und Industriegeprägtem, Antikem und Gegenwärtigem, Wohlstandsgesellschaft und Außenseitertum, popinspirierter und traditionellerer Sprache stecken das weite Feld ab, auf dem diese Gedichte wandeln.
   Ein aufmerksamer und gebildeter Mann, dieser Dichter, der uns an einer Vielfalt von Suchen und Wanderungen geografischer, geschichtlicher, amouröser, historischer und sozialer Art teilhaben lässt. Konzise, wenn lyrisch dann durch Herbheit gezügelt, manchmal spöttisch, häufig lakonisch. Mit ein paar lakonischen letzten Zeilen, die für meinen Geschmack etwas zu sehr Pointe sein wollen – was gar nicht nötig wäre, da das Vorausgegangene hinreichend Argument ist.
   Eine Lektüre, in der alle fündig werden dürften, die gerne in freier Lyrik mit einem klaren Bewusstsein für die Gegenwart und ihre Verwurzelung in der Vergangenheit suchen und wandeln.
   Zum Abschluss und als Leseprobe das Titelgedicht »Über den Zeppelinen« zweigeteilt und spekulationsgarniert:

Über den Zeppelinen
ist nur noch blaßwarme Luft
da hinauf
wagt's keiner der bloß
ein bißchen Brennstoff
übrig hat
in seinen schwankenden Tanks

Wer also schafft's in diese Höhe, die – luftschiffbedingt – keineswegs allzu überirdisch weit in den Himmel ragt? Auch das verrät uns das Gedicht:

So hoch
gelangt allein die Schwester des Einhorns
die liebreizend und
unsichtbare Strickleitern nutzend
sich aufschwingt
von den baffenden Blicken
der Broker begleitet

Vermutlich kommt hier Privates zum Tragen, von dem der Leser nichts wissen kann und braucht. Die Schwester des Einhorns – nicht das Fabelwesen Einhorn selbst – nimmt das zuvor angesprochene Wagnis, sich des Unsichtbaren bedienend – also unter Auslassung des materiellen Hilfsmittels Brennstoff – auf sich und schwingt sich, das Erstaunen der eher überraschend und dazu noch gleich in der Mehrzahl vorhandenen baffenden – interessante Mischung aus baff und gaffend – Broker erregend, hinauf. Broker baby, I'm gonna leave you down there, um den Titel eines anderen Gedichtes zu persiflieren.

Johannes Beilharz

Jörg Neugebauer: Über den Zeppelinen, 68 Seiten, Alkyon Verlag, Weissach im Tal, 8,90 Euro. Erhältlich über den Buchhandel oder Online-Buchhandel z.B. Amazon