Quickshot - Schnellschuss vom 01.12.2002 Quickshot-Index

Edouard Manet und die Impressionisten

Eine Ausstellung in der Staatsgalerie Stuttgart vom 21.09.2002 bis 09.02.2003

Rezension von Carmen Bosch-Schairer

Edouard Manet, bedeutender Pariser Maler des 19.Jh., steht im Zentrum einer Ausstellung der Staatsgalerie Stuttgart, der umfangreichsten, die ihm bislang in Deutschland gewidmet wurde. Sie zeigt schwerpunktmäßig den späten Manet der 1870er Jahre und stellt ihm Werke seiner Malerkollegen gegenüber. Zugrunde liegt das mehrfach erprobte Konzept, ein wichtiges Werk der eigenen Sammlung zum Kristallisationspunkt eines größeren Ausstellungsunternehmens zu machen. Der Manet der Staatsgalerie ist ein skizzenhaft angelegtes Doppelporträt des Malers Claude Monet und seiner Frau im Atelierboot, ein Bild aus der Serie impressionistischer Szenen auf und an der Seine, die im Jahr 1874 entstanden. Den Bezugsrahmen bilden infolgedessen Werke der Impressionisten Monet und Renoir und ihres Umkreises: Sisley, Caillebotte, Pissarro, Manets Schülerin Berthe Morisot u.a. Daneben sind Vorläufer und Altersgenossen Manets wie Corot, Daubigny, Boudin, Courbet, Degas zu sehen. Erklärtes Ziel der Ausstellung ist es, Manet als Bahnbrecher für die innovative impressionistische Malerei zu zeigen wie auch den Einfluss der Impressionisten auf sein eigenes Werk sichtbar zu machen.

Der Rundgang durch die mit ca. 80 Werken angenehm dimensionierte Ausstellung beginnt mit Bildern der späten 1860er Jahre, die Manets Ausgangsposition markieren, dann folgt seine plein air-Malerei aus den Badeorten der Kanalküste und schließlich seine impressionistische Phase mit zahlreichen Vergleichsbeispielen anderer Künstler. Ein Blick auf das Spätwerk bis 1883, das zuweilen auf die stilistischen Errungenschaften des Impressionismus rekurriert oder damit experimentiert, beendet die Ausstellung. Eine kleine Auswahl von Arbeiten auf Papier zeigt ergänzend Studien und eigenständige Werke.

Für die Malerei der Moderne ist Manet tatsächlich eine der Schlüsselfiguren, neben den Malern der Schule von Barbizon oder Courbet, die auf ihre Art die ersten Breschen in die traditionsverhaftete Salonmalerei schlugen. Sie sind mit einzelnen Werken in der Ausstellung zitiert.
Im Gegensatz zu ihnen war Manet der Maler des Pariser Stadtlebens. Das Großbürgertum seiner eigenen Umgebung porträtierte er ebenso wie die Randständigen. Mit neuartigen Motiven und einem eigenwilligen Individualstil sorgte er, darin Courbet ähnlich, immer wieder für öffentliche Kontroversen. Sein Malstil ist nicht revolutionär, eher evolutionär. Tizian, Rubens, Goya, Velázquez oder Delacroix waren die Bezugsgrößen, an die er anknüpfte und deren Errungenschaften er weiterentwickelte.

Mit den stilistischen Neuerungen seiner Zeit setzte er sich auseinander und überprüfte sie auf ihre Brauchbarkeit. So experimentierte er mit der plein air-Malerei, als er bedingt durch Kriegs- und Nachkriegswirren 1870/71 gezwungenermaßen längere Zeit an der Küste verbringen musste. Die Ausstellung zeigt u.a. zwei bedeutende Beispiele dieser Arbeitsphase, "Am Strand" und "Die Schwalben", beide 1873 in Berck-sur-Mer entstanden. Plein air-Malerei blieb ein Zwischenspiel, ebenso wie Manets impressionistische Phase, die sich streng genommen auf eine Handvoll Bilder aus der Sommerfrische des Jahres 1874 in Argenteuil beschränkt. Der Ausstellungsbesucher muss sich mit der kleinen Tafel "Familie Monet im Garten" begnügen, ergänzt um Renoirs Version desselben Motivs. Die Hauptwerke dieser Periode, die Manets Nähe und Differenz zum Impressionismus offenbaren, fehlen dagegen: "Argenteuil", "Im Boot" und "Monet beim Malen in seinem Atelierboot", alle im Sommer 1874 in Argenteuil an der Seine entstanden. So bleibt nur das charmante, aber unprätentiöse Bild der Familie Monet als charakteristisches Zeugnis für Manets Beschäftigung mit dem Impressionismus, die in der Tat peripher war. Nur gelegentlich griff er noch auf die impressionistische Technik zurück, so in den Ansichten der Rue Mosnier aus dem Jahr 1878, von denen die "Rue Mosnier mit Flaggen" in der Ausstellung vertreten ist.

Mit Rücksicht auf das Thema Impressionismus und seine Leitgattung, die Landschaft, zeigt die Ausstellung schwerpunktmäßig Landschaften und Szenen im Freien. Da Manet aber in erster Linie Figurenmaler war, gehören die Stadtansichten, Strandbilder und Seestücke nicht zu seinen stärksten Werken. Ein Handicap ist die Tatsache, dass trotz internationaler Leihgeber aus Europa und den USA und trotz Überlassung einer umfangreichen Schweizer Privatsammlung zu viele marginale Arbeiten von Manet zusammenkamen. An Hauptwerken sind "Die Eisenbahn", 1872/73, und der "Wintergarten", 1879, vorhanden.

Als weitere charakteristische, qualitätvolle Arbeiten sind zu erwähnen: "Das Rennen von Longchamps", 1867, "Krocketspiel“, 1873, "Beim Père Lathuille", 1879, mehrere Porträts zwischen 1879 und 1881, die Zürcher Version von "Rocheforts Flucht" über das aufgewühlte Meer, 1881, und einige kleinformatige Ansichten von Haus und Garten in Kurorten, in die sich Manet in seinen letzten Lebensjahren einmietete. Experimentelle, unvollendet gebliebene Bilder, z.B. die "Weltausstellung", 1867, "Am Strand von Boulogne", 1869, oder das zentrale Doppelporträt des Ehepaars Monet, 1874, sind für den Spezialisten vielleicht interessant, bieten für den normalen Ausstellungsbesucher aber wenig Reiz. Vor allem das Doppelporträt der Staatsgalerie tut sich schwer mit seiner Funktion als Angelpunkt der Ausstellung. Die Mehrzahl der übrigen Bilder und Studien ist von untergeordnetem Interesse.

Die Vergleichsbeispiele anderer Künstler sind ebenfalls von unterschiedlicher Qualität. Von Monet gibt es einige erstklassige Werke, darunter die "Segelboote auf der Seine", 1874, aus San Francisco, und die Stuttgarter "Felder im Frühling", 1874. Renoir ist mit kleinformatigen Landschaften nicht besonders vorteilhaft vertreten. Das gilt auch für seine Version der "Familie Monet", die 1874 parallel zu Manets Bild entstand. Das Porträt "Madame Choquet in Weiß", 1875, ebenfalls aus dem Besitz der Staatsgalerie, bietet dafür wenigstens reichlich Entschädigung. Weder Degas noch Morisot sind dagegen angemessen repräsentiert, der eine mit einem atypischen, die andere mit einem unbewältigten Porträt. Immerhin sieht man von Degas einige schöne, großformatige Aktpastelle, gleichfalls aus Stuttgart.

Die Strategie der Ausstellung, die gegenseitige Beeinflussung zwischen Manet und den Impressionisten darzustellen, ist nur in Teilen geglückt. Manet war kein Wegbereiter des Impressionismus im engeren Sinn. Die ersten Bilder von Monet und Renoir in impressionistischer Technik waren in den späten 60er Jahren entstanden, lange vor Manets plein air-Studien in der Normandie. Ihre Vorläufer und erklärten Vorbilder waren die Barbizon-Maler, die deshalb auch mit einigen Werken in der Ausstellung vertreten sind. Umgekehrt experimentierte Manet 1874 intensiv mit der Freilichtmalerei und der impressionistischen Umsetzung des Motivs. Dazu fehlt der Ausstellung aber das Anschauungsmaterial, weil die Hauptwerke dieser Phase bis auf "Familie Monet im Garten" wohl nicht zu entleihen waren.

Manet ist auch nach 1874 nicht zum Impressionisten geworden. Seine wichtigen Werke entstanden weiterhin fast ausnahmslos im Atelier. Seine Malerei behielt ihre festen Konturen, ihre tonigen Farbflächen und Lokalfarben, wenn auch der Pinselstrich lockerer und die Palette heller und vielfältiger wurden. Das einzige gewichtige Werk dieser Zeit, das die Stuttgarter Ausstellung präsentieren kann, der "Wintergarten" mit dem Ehepaar Guillemet, zeigt das mit wünschenswerter Deutlichkeit. Die Figuren werden nicht mit Farben modelliert, sondern durch Licht, Schatten und Konturen. Selbst das Grün im Hintergrund ist als botanische Spezies erkennbar und gibt weder seine Form noch seine Lokalfarbe zugunsten der Lichtwirkung auf. Wie man es von Manets Farbenökonomie gewohnt ist, spielen Schwarz, Grau und Beige die Hauptrolle, sekundiert vom Grün der Pflanzen, dem Gelb im Aufzug von Madame Guillemet und wenigen Blau- und Rottönen.

So wenig sich Manet für den Impressionismus in Anspruch nehmen lässt, so konsequent vermied er jede öffentliche Kooperation mit dessen Protagonisten. Es ist hinlänglich bekannt, dass er es ablehnte, mit ihnen gemeinsam auszustellen. Dass ihm dennoch der Ruf des Chef-Impressionisten anhing, ist ein Treppenwitz der Kunstgeschichte, vielleicht seiner freundschaftlichen Verbindung zu Claude Monet und dessen Kreis geschuldet. Manet stand als avantgardistischer Maler im Mittelpunkt einer öffentlichen Kunstdebatte, ausgehend von der Zulassung bzw. Ablehnung seiner Werke bei den jährlichen Kunstausstellungen im Herbstsalon. Seit dem Skandal um sein "Frühstück im Grünen" und "Olympia" teilte sich das intellektuelle Paris in Verteidiger und Schmäher Manets. Da war die Unterstellung, er sei der Anführer einer Bande verirrter Maler, eine weitere Waffe in der Hand konservativer Kunstkritiker, mit denen er im Dauerzwist lag. Den Beweis erbringt auch die Stuttgarter Ausstellung nicht.

Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von Carmen Bosch-Schairer
© Carmen Bosch-Schairer 2002

Die Ausstellung

Dauer: 21.09.2002 bis 09.02.2003

Öffnungszeiten: 10.00 - 20.00 Uhr, Do 10.00 - 21.00 Uhr, Mo geschlossen

Staatsgalerie Stuttgart
Konrad-Adenauer-Str. 30-32
D-70173 Stuttgart

Tel. 0711 470 40 250
und 0711 470 40 228
Fax 0711 236 99 83

Ein Katalog der Ausstellung mit 259 Seiten und 226 Abbildungen, davon 116 in Farbe, ist erhältlich (Preis: 23 Euro)

www.staatsgalerie.de