Edouard Manet,
bedeutender Pariser Maler des 19.Jh., steht im Zentrum einer Ausstellung der
Staatsgalerie Stuttgart, der umfangreichsten, die ihm bislang in Deutschland
gewidmet wurde. Sie zeigt schwerpunktmäßig den späten Manet der 1870er Jahre
und stellt ihm Werke seiner Malerkollegen gegenüber. Zugrunde liegt das
mehrfach erprobte Konzept, ein wichtiges Werk der eigenen Sammlung zum
Kristallisationspunkt eines größeren Ausstellungsunternehmens zu machen. Der
Manet der Staatsgalerie ist ein skizzenhaft angelegtes Doppelporträt des Malers
Claude Monet und seiner Frau im Atelierboot, ein Bild aus der Serie
impressionistischer Szenen auf und an der Seine, die im Jahr 1874 entstanden.
Den Bezugsrahmen bilden infolgedessen Werke der Impressionisten Monet und Renoir
und ihres Umkreises: Sisley, Caillebotte, Pissarro, Manets Schülerin Berthe
Morisot u.a. Daneben sind Vorläufer und Altersgenossen Manets wie Corot,
Daubigny, Boudin, Courbet, Degas zu sehen. Erklärtes Ziel der Ausstellung ist
es, Manet als Bahnbrecher für die innovative impressionistische Malerei zu
zeigen wie auch den Einfluss der Impressionisten auf sein eigenes Werk sichtbar
zu machen.
Der Rundgang durch die mit ca. 80 Werken angenehm dimensionierte Ausstellung
beginnt mit Bildern der späten 1860er Jahre, die Manets Ausgangsposition
markieren, dann folgt seine plein air-Malerei aus den Badeorten der Kanalküste
und schließlich seine impressionistische Phase mit zahlreichen
Vergleichsbeispielen anderer Künstler. Ein Blick auf das Spätwerk bis 1883,
das zuweilen auf die stilistischen Errungenschaften des Impressionismus
rekurriert oder damit experimentiert, beendet die Ausstellung. Eine kleine
Auswahl von Arbeiten auf Papier zeigt ergänzend Studien und eigenständige
Werke.
Für die Malerei der Moderne ist Manet tatsächlich eine der Schlüsselfiguren,
neben den Malern der Schule von Barbizon oder Courbet, die auf ihre Art die
ersten Breschen in die traditionsverhaftete Salonmalerei schlugen. Sie sind mit
einzelnen Werken in der Ausstellung zitiert.
Im Gegensatz zu ihnen war Manet der Maler des Pariser Stadtlebens. Das Großbürgertum
seiner eigenen Umgebung porträtierte er ebenso wie die Randständigen. Mit
neuartigen Motiven und einem eigenwilligen Individualstil sorgte er, darin
Courbet ähnlich, immer wieder für öffentliche Kontroversen. Sein Malstil ist
nicht revolutionär, eher evolutionär. Tizian, Rubens, Goya, Velázquez oder
Delacroix waren die Bezugsgrößen, an die er anknüpfte und deren
Errungenschaften er weiterentwickelte.
Mit den stilistischen Neuerungen seiner Zeit setzte er sich auseinander und überprüfte
sie auf ihre Brauchbarkeit. So experimentierte er mit der plein air-Malerei, als
er bedingt durch Kriegs- und Nachkriegswirren 1870/71 gezwungenermaßen längere
Zeit an der Küste verbringen musste. Die Ausstellung zeigt u.a. zwei bedeutende
Beispiele dieser Arbeitsphase, "Am Strand" und "Die
Schwalben", beide 1873 in Berck-sur-Mer entstanden. Plein air-Malerei blieb
ein Zwischenspiel, ebenso wie Manets impressionistische Phase, die sich streng
genommen auf eine Handvoll Bilder aus der Sommerfrische des Jahres 1874 in
Argenteuil beschränkt. Der Ausstellungsbesucher muss sich mit der kleinen Tafel
"Familie Monet im Garten" begnügen, ergänzt um Renoirs Version
desselben Motivs. Die Hauptwerke dieser Periode, die Manets Nähe und Differenz
zum Impressionismus offenbaren, fehlen dagegen: "Argenteuil", "Im
Boot" und "Monet beim Malen in seinem Atelierboot", alle im
Sommer 1874 in Argenteuil an der Seine entstanden. So bleibt nur das charmante,
aber unprätentiöse Bild der Familie Monet als charakteristisches Zeugnis für
Manets Beschäftigung mit dem Impressionismus, die in der Tat peripher war. Nur
gelegentlich griff er noch auf die impressionistische Technik zurück, so in den
Ansichten der Rue Mosnier aus dem Jahr 1878, von denen die "Rue Mosnier mit
Flaggen" in der Ausstellung vertreten ist.
Mit Rücksicht auf das Thema Impressionismus und seine Leitgattung, die
Landschaft, zeigt die Ausstellung schwerpunktmäßig Landschaften und Szenen im
Freien. Da Manet aber in erster Linie Figurenmaler war, gehören die
Stadtansichten, Strandbilder und Seestücke nicht zu seinen stärksten Werken.
Ein Handicap ist die Tatsache, dass trotz internationaler Leihgeber aus Europa
und den USA und trotz Überlassung einer umfangreichen Schweizer Privatsammlung
zu viele marginale Arbeiten von Manet zusammenkamen. An Hauptwerken sind
"Die Eisenbahn", 1872/73, und der "Wintergarten", 1879,
vorhanden.
Als weitere
charakteristische, qualitätvolle Arbeiten sind zu erwähnen: "Das Rennen
von Longchamps", 1867, "Krocketspiel“, 1873, "Beim Père
Lathuille", 1879, mehrere Porträts zwischen 1879 und 1881, die Zürcher
Version von "Rocheforts Flucht" über das aufgewühlte Meer, 1881, und
einige kleinformatige Ansichten von Haus und Garten in Kurorten, in die sich
Manet in seinen letzten Lebensjahren einmietete. Experimentelle, unvollendet
gebliebene Bilder, z.B. die "Weltausstellung", 1867, "Am Strand
von Boulogne", 1869, oder das zentrale Doppelporträt des Ehepaars Monet,
1874, sind für den Spezialisten vielleicht interessant, bieten für den
normalen Ausstellungsbesucher aber wenig Reiz. Vor allem das Doppelporträt der
Staatsgalerie tut sich schwer mit seiner Funktion als Angelpunkt der
Ausstellung. Die Mehrzahl der übrigen Bilder und Studien ist von
untergeordnetem Interesse.
Die Vergleichsbeispiele anderer Künstler sind ebenfalls von unterschiedlicher
Qualität. Von Monet gibt es einige erstklassige Werke, darunter die
"Segelboote auf der Seine", 1874, aus San Francisco, und die
Stuttgarter "Felder im Frühling", 1874. Renoir ist mit
kleinformatigen Landschaften nicht besonders vorteilhaft vertreten. Das gilt
auch für seine Version der "Familie Monet", die 1874 parallel zu
Manets Bild entstand. Das Porträt "Madame Choquet in Weiß", 1875,
ebenfalls aus dem Besitz der Staatsgalerie, bietet dafür wenigstens reichlich
Entschädigung. Weder Degas noch Morisot sind dagegen angemessen repräsentiert,
der eine mit einem atypischen, die andere mit einem unbewältigten Porträt.
Immerhin sieht man von Degas einige schöne, großformatige Aktpastelle,
gleichfalls aus Stuttgart.
Die Strategie der Ausstellung, die gegenseitige Beeinflussung zwischen Manet und
den Impressionisten darzustellen, ist nur in Teilen geglückt. Manet war kein
Wegbereiter des Impressionismus im engeren Sinn. Die ersten Bilder von Monet und
Renoir in impressionistischer Technik waren in den späten 60er Jahren
entstanden, lange vor Manets plein air-Studien in der Normandie. Ihre Vorläufer
und erklärten Vorbilder waren die Barbizon-Maler, die deshalb auch mit einigen
Werken in der Ausstellung vertreten sind. Umgekehrt experimentierte Manet 1874
intensiv mit der Freilichtmalerei und der impressionistischen Umsetzung des
Motivs. Dazu fehlt der Ausstellung aber das Anschauungsmaterial, weil die
Hauptwerke dieser Phase bis auf "Familie Monet im Garten" wohl nicht
zu entleihen waren.
Manet ist auch nach 1874 nicht zum Impressionisten geworden. Seine wichtigen
Werke entstanden weiterhin fast ausnahmslos im Atelier. Seine Malerei behielt
ihre festen Konturen, ihre tonigen Farbflächen und Lokalfarben, wenn auch der
Pinselstrich lockerer und die Palette heller und vielfältiger wurden. Das
einzige gewichtige Werk dieser Zeit, das die Stuttgarter Ausstellung präsentieren
kann, der "Wintergarten" mit dem Ehepaar Guillemet, zeigt das mit wünschenswerter
Deutlichkeit. Die Figuren werden nicht mit Farben modelliert, sondern durch
Licht, Schatten und Konturen. Selbst das Grün im Hintergrund ist als botanische
Spezies erkennbar und gibt weder seine Form noch seine Lokalfarbe zugunsten der
Lichtwirkung auf. Wie man es von Manets Farbenökonomie gewohnt ist, spielen
Schwarz, Grau und Beige die Hauptrolle, sekundiert vom Grün der Pflanzen, dem
Gelb im Aufzug von Madame Guillemet und wenigen Blau- und Rottönen.
So wenig sich Manet für den Impressionismus in Anspruch nehmen lässt, so
konsequent vermied er jede öffentliche Kooperation mit dessen Protagonisten. Es
ist hinlänglich bekannt, dass er es ablehnte, mit ihnen gemeinsam auszustellen.
Dass ihm dennoch der Ruf des Chef-Impressionisten anhing, ist ein Treppenwitz
der Kunstgeschichte, vielleicht seiner freundschaftlichen Verbindung zu Claude
Monet und dessen Kreis geschuldet. Manet stand als avantgardistischer Maler im
Mittelpunkt einer öffentlichen Kunstdebatte, ausgehend von der Zulassung bzw.
Ablehnung seiner Werke bei den jährlichen Kunstausstellungen im Herbstsalon.
Seit dem Skandal um sein "Frühstück im Grünen" und
"Olympia" teilte sich das intellektuelle Paris in Verteidiger und Schmäher
Manets. Da war die Unterstellung, er sei der Anführer einer Bande verirrter
Maler, eine weitere Waffe in der Hand konservativer Kunstkritiker, mit denen er
im Dauerzwist lag. Den Beweis erbringt auch die Stuttgarter Ausstellung nicht.
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